Abi Wallenstein
„Jede Generation muss ihre Musik neu finden!“
Abi Wallenstein wird von den Medien gern als „Vater der Hamburger Bluesszene“ oder „lebende Blueslegende“ bezeichnet. „Revoluzzer wär’ mir lieber“, sagt der Musiker lachend, wenn man ihn auf dieses Image anspricht. Aber was will man da schon machen? Als 75-Jähriger mit über fünf Dekaden Musikerfahrung auf dem Buckel ist man eben kein junger Heißsporn mehr.
Obwohl: Heiß klingen Wallensteins Slidegitarrenspiel und die markante Reibeisenstimme bis heute. Vielleicht sogar um einiges heißer als in den Anfangsjahren seiner Laufbahn. „Ich lerne noch, ich bin auf der Suche, ich kann gar nicht anders und höre auch viele orientalische Sachen, Flamenco und Tango“, sagt der Musiker über sich und sein Talent. „Ich bin jeden Tag hier in Hamburg in meinem Proberaum und probiere Sachen aus. Das ist in einem alten Luftschutzbunker. Obendrüber spielen sie Trance und so’n Zeug.“ Zehn Minuten zu Fuß von zu Hause entfernt liegt dieser Raum. Auch in der Corona-Pandemie ist er somit, fernab von der geliebten Bühne, eine Konstante in Wallensteins Leben geblieben.
Abi Wallenstein, im Dezember 1945 in Jerusalem geboren, kam schon früh zur Musik. „Wir hatten einen sehr guten Musiklehrer in der Schule. Ich kann mich noch genau erinnern, dass er uns alle möglichen Musikstile vorstellte. Auch den „2:19 Blues“ von Louis Armstrong. Das Ding hat irgendwas bei mir ausgelöst damals. Ich kann es gar nicht so genau sagen, aber diese Musik war anders als alles, was ich kannte. Also hab’ ich mich näher damit beschäftigt. Da war ich so in etwa 12.“ Es gab aber noch eine andere Initialzündung, erinnert er sich. Seine Mutter ging mit ihm oft ins Kino, um Westernfilme anzuschauen. „Weil ich Pferde so mochte! Aber eines Tages hat sie mich in einen Rock’n’Roll-Film geschleppt. ‚Die Tommy-Steele-Story‘. Ich hab’ sie nie gefragt, warum. Aber Steele war der englische Elvis und damals sehr berühmt. Die fetzige Gitarre und der Rockabilly-Groove waren jedenfalls Elemente, die mich tierisch angezogen haben. Und da hab’ ich mir eine Gitarre gewünscht.“
Erste Auftritte in Neuss
1957 war das, und bis dahin hatte der junge Abraham Wallenstein sich daheim eher mit dem Malen als mit der Musik beschäftigt, obwohl er schon wusste, dass er auch sehr musikalisch veranlagt war. „Als die Gitarre kam, hab’ ich auch erst einmal brav Unterricht genommen“, blickt er zurück. „Aber dann hatten wir so einen amerikanischen Austauschschüler in der Schule, durch den ich den Skiffle kennengelernt habe. Das war dann mein Einstieg in die Livemusik mit meiner ersten Höfner-E-Gitarre und einer kleinen Jazz-Kombo in Neuss in Nordrhein-Westfalen, wo wir damals gelebt haben.“ Die alte Höfner hat er heute noch.
Doch der Jazz sollte nur eine Zwischenstation sein. „1962 kam ich für einen Englischkurs nach England. Damals hab’ ich schon viel mit meinen Mitschülern Musik gemacht. Und dann spielte dort Manfred Mann in einem Keller. Der hat damals ja Rhythm & Blues gemacht. In Bournemouth in Südengland war das. Die Beatles sind da auch aufgetreten, aber die waren mir da noch kein Begriff.“ Die Beatles wurden erst bedeutsam, als Wallenstein sie bei einem anderen Musiker in seinem Umfeld in Neuss entdeckte. „Das waren so die Elemente, die mich anfangs beeinflusst haben. Die Beat-Musik und der Blues, es war eine Art Wechselspiel. Es hat mich dazu gebracht, anfangs weder die Beatles noch den Blues einfach nur nachzuspielen, sondern eine eigene musikalische Handschrift in meinem Tun zu entwickeln. Man kann sagen, dass ich damals schon ein sehr vom Groove her orientierter Gitarrist geworden bin. Mein erstes Slide war der Deckel von einem Lippenstift meiner Mutter.“
Soli mit vielen Noten seien damals schon nicht so sehr sein Ding gewesen, sagt Wallenstein. Einerseits wegen des Unterhaltungsaspekts, der ja im Blues sehr bedeutsam ist. „Ich war aber auch faul. Ich hab’ mich für schöne Akkorde interessiert, die den Gesang begleiten. Noch heute finde ich es interessanter, wenn der Gitarrist einen Ton spielt und diesen schön formt und ausgestaltet, als eine ganze Reihe von Tönen virtuos und schnell spielen zu können.“
- Ralf Deckert
- Auszug aus dem Interview in bluesnews 106
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