Billy Branch
Vom New Kid on the Block zum Elder Statesman
Mitte der 1970er-Jahre brachte Billy Branch gemeinsam mit anderen jungen Bluesern frischen Wind in die Chicagoer Bluesszene. Durch sein immenses Talent wurde er schnell von den älteren, etablierten Musikern akzeptiert, war mit seiner Band erfolgreich [KK1]und ist heute einer der führenden Vertreter der Chicago-Blues-Mundharmonika und ein engagierter Lehrmeister, der nun selbst jungen Menschen den Blues nahebringen will.
Highlight beim Gaildorfer Bluesfestival
Gaildorf, Juli 2019. Billy Branch hat gerade mit seiner Band „The Sons of Blues“ einen großartigen Set hingelegt, in dem er Bluesstandards, modernere eigene Songs und natürlich Titel seiner aktuellen Little-Walter-Tribute-CD vermischte. Wenn der Andrang am CD-Stand und die nicht enden wollenden Bitten um Autogramme Indizien sind, war Branch der Hit des diesjährigen Bluesfests. Für das geplante bluesnews-Interview bleibt an diesem Abend keine Zeit, es findet dann aber ein paar Tage später per Telefon statt. Billy Branch hatte den Gig noch in bester Erinnerung: „Ja, das war ein sehr erfolgreicher Auftritt, wir waren alle wirklich froh, dass wir so gut ankamen, dass wir dem Publikum so gut gefallen haben, dass sie sich diese neue CD holen wollten. Das war schon seit einer Weile nicht mehr so, immerhin ist „Blues Shock“ schon fast sechs Jahre alt, deswegen waren wir hocherfreut.“
Phänomenaler Bluesharpspieler und überzeugender Sänger
Neben seiner phänomenalen Bluesharp, die er mit einem ganz eigenen Sound spielt, der etwas an Carey Bell erinnert, konnte Branch auch als Sänger voll überzeugen – eine Rolle, die er zu Beginn seiner Karriere nicht ausschließlich innehatte: „In den verschiedenen Inkarnationen der Sons of Blues hatte ich nach meinem Gefühl großartige Sänger, zum Beispiel Lurrie Bell, Carl Weathersby und J.W. Williams. Also dachte ich mir, ich sing vielleicht ein paar Stücke, aber sonst ... Aber irgendwann sind sie alle ausgestiegen, um ihre eigene Solokarriere zu verfolgen, und so musste ich mich der Herausforderung stellen. Ich bin jetzt an dem Punkt angekommen, wo ich mich viel souveräner, entspannter und selbstbewusster mit meinem Gesang fühle. Aber ich musste daran arbeiten.“
Bluesfestival in Chicago als Initialzündung
Billy Branch ist in seinen inzwischen über 45 Jahren auf der Chicagoer Bluesszene weit gekommen. In der Windy City geboren, wuchs er jedoch in Los Angeles auf, wo er schon mit 11 Jahren begann Mundharmonika zu spielen. Doch erst als er als 18-Jähriger 1969 nach Chicago zurückkehrte, um zu studieren, begann er sich richtig für Blues zu interessieren. Seine Initialzündung war ein Bluesfestival in Grant Park, bei dem er zuerst Willie Dixon, Junior Wells und Muddy Waters live erlebte. Bald lernte er in seiner Nachbarschaft einen gewissen Rahsaan kennen, der ihm Little Walter und Sonny Boy Williamson Nr. 2 vorspielte. Später nahm ihn ein guter Freund, Lucius Barner, ein Stiefsohn von Junior Wells, mit in „Theresa’s Lounge“ und er begann bei Gigs von Wells, Buddy Scott, Lefty Dizz und anderen einzusteigen.
Seine Bekanntheit auf der Szene erhöhte sich auch, als er Anfang 1975 an einem Bluesharp-Wettbewerb teilnahm, der von Little Mack Simmons veranstaltet wurde. Allerdings gab Mack die Stücke vor, machte selbst mit und erklärte sich selbst zum Sieger, was zu Tumulten führte, denn das Publikum sah eher Billy als Sieger – das „Living Blues“-Magazin berichtete ausführlich darüber. Kurz danach wurde Billy zu den Aufnahmen für den Chicago-Bluesharp-Sampler „Bring Me Another Half-A-Pint“ eingeladen, die resultierende LP enthielt seine ersten beiden Titel unter eigenem Namen. Einer davon war ein Cover von Willie Dixons Komposition „Hoochie Coochie Man“, die Billy um eine Strophe ergänzte: „‚I came to Chicago in the summer of ’69, I didn’t smoke no reefer, I didn’t drink no wine. When the summer was over, I was a changed man. Now I can turn up a bottle and they call me Reefer Dan.“
Auf die Frage, ob das wörtlich genommen werden kann, antwortete Billy im Interview lachend: „Ja, das war autobiografisch, das hab ich eines Morgens auf dem Weg in die University of Illinois geschrieben, als ich auf den Bus wartete. Die Strophe kam mir einfach in den Kopf. Das war alles wahr, nur das mit ‚Reefer Dan‘ war übertrieben, ich war nie ein großer Pot-Raucher. Das änderte ich manchmal in ‚Boogie Man‘, das war mein Spitzname in den Willie Dixon All-Stars und auch auf dem College-Campus, denn ich spielte andauernd meine Mundharmonika.“ Die Band des großen Chicago-Blues-Komponisten, -Bassisten, -Sängers und -Bandleaders war die nächste wichtige Station in Billys Karriere, er spielte sechs Jahre lang in Dixons Band als Nachfolger seines Vorbilds Carey Bell und sammelte wichtige musikalische und professionelle Erfahrungen.
(Auzug aus dem sechsseitigen Interview in bluesnews 99)
- Klaus Kilian
- bluesnews 99
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