Der Rasenmäher-Blues
Sourland Blues Brothers zur besten Rhythm’n’Blues-Band gekürt
Seit 1983 werden in Deutschland alljährlich die „Deutschen Rock & Pop Preise“ verliehen. Pur, Juli oder Luxuslärm zählen zu den bisherigen Gewinnern – und nun auch The Sourland Blues Brothers. Das Duo gibt schwachsinnige Texte von sich, hantiert mangels musikalischer Fähigkeiten mit einem Rasenmäher und wurde trotzdem in der Siegerlandhalle vor rund 1.000 Besuchern zur besten Rhythm’n’Blues-Band 2017 gekürt. Zwei weitere Preise gab es obendrauf.
Es ist eine Erfolgsstory, wie sie skurriler kaum sein könnte. Denn hinter den sauerländischen Blues-Brüdern verbergen sich der Kollege Dirk Funke (47) und ich (57), der Herausgeber von bluesnews. Zunächst schlüpften wir als Dirk „No Nickname“ Funke und Dirk „Lawn Mower“ Föhrs in die Rolle der Sourland Blues Brothers, nahmen mit Rasenmäher, Gitarre, Headset und Notebook eine völlig skurrile Demo-CD auf und bewarben uns damit um die sogenannten „Deutschen Rock & Pop Preise“. Erfolgreich, denn im Dezember 2017 wurden wir nicht nur zur besten Bluesband gekürt, sondern auch in den Kategorien „Bester Rhythm’n’Blues-Song“ und „Bester Rhythm’n’Blues-Sänger“ ausgezeichnet.
Größtes und erfolgreichstes Kulturfestival für den musikalischen Nachwuchs
Unfug, Klamauk, Schabernack? Irgendwie schon, aber die bluesnews-Undercover-Aktion hatte auch einen Hintergrund und war vor allem großer Neugier geschuldet. Schließlich handelt es sich bei den „Deutschen Rock & Pop Preisen“ weder um irgendwelche Wald- und Wiesen-Auszeichnungen noch um einen Tummelplatz für Schwachmaten wie die Sourland Blues Brothers. Die gleichnamige Veranstaltung sei „Deutschlands ältestes, größtes und erfolgreichstes Kulturfestival für den musikalischen Nachwuchs“, behaupten die Deutsche Popstiftung und der Deutsche Rock & Popmusiker Verband (DRMV). Ausgezeichnet werden „herausragende junge Nachwuchskünstler/innen“, dies „in über 125 verschiedenen Musikgenres“. Donnerwetter, das sind viele!
Allerdings stimmt das nicht so richtig, denn in vielen Genres, wie zum Beispiel dem „Rhythm’n’Blues“, gibt es mehrere Auszeichnungen (beste Band, bestes Album, bester Song, beste Sängerin und bester Sänger). Trotzdem ist es zunächst einmal eine lobenswerte Sache, dass auch Musikrichtungen berücksichtigt werden, die bei anderen Preisverleihungen weniger eine Rolle spielen. Die 125 Sparten verteilen sich auf Country, Funk, Punk, Kinderlinder, Hardcore, Folkrock, Gothic und vieles andere mehr. Verband und Stiftung vermitteln mit ihren Angaben (siehe hier) zudem Seriosität in Kombination mit geballter musikalischer Kompetenz. In den fünf „Rhythm’n’Blues“-Sparten zählten bereits bekanntere deutsche Bluesmusiker zu den Preisträgern, aber – und das erstaunt – auch Künstler/innen, die in ganz anderen Gefilden unterwegs sind. Wie zum Beispiel 2014 eine Hochzeitsband aus dem Raum Schweinfurt.
Dazu muss man wissen, dass nur die Teilnehmer der sogenannten „Hauptkategorien“ beim Finale auftreten. Dies bleibt den Rhythm’n’Bluesern erspart. Ebenso wie allen anderen Preisträgern der insgesamt 117 „Sonderkategorien“, „Nebenkategorien“ und „Sonderauszeichnungskategorien“ (Beispiel aus 2017). Die werden nämlich nur auf Basis einer eingesandten CD von der „Bundesjury“ ermittelt.
Bis zu neun Preise in 125 verschiedenen Sparten
Es gibt aber nicht nur Sieger, denn häufig werden auch die Zweit- und Drittplatzierten mit einer Urkunde ausgezeichnet. Doch selbst das reicht nicht immer aus, um all die wahnsinnig vielen herausragenden Nachwuchskünstler/innen des Landes zu ehren. Daher werden die Plätze teils mehrfach vergeben. Beispiel: 2017 mussten allein neun Urkunden für die Sparte „Bester Song des Jahres (deutschsprachig)“ gedruckt werden. Zwei für den ersten, drei für zweiten und vier für den dritten Platz.
In der Sparte Rhythm’n’Blues geht es weitaus genügsamer zu. Die wurde zwei Jahre lang von der Hörbie Schmidt Band (neun Auszeichnungen) quasi dominiert. Genreübergreifend räumten die Kieler 2014 und 2015 sogar schier unglaubliche 18 Urkunden ab und sind damit „die Band mit den meisten Auszeichnungen bei diesem Wettbewerb“, wie auf deren Homepage unter „Referenzen“ nachzulesen ist. Doch was war der Grund dafür, dass 2016 in vier der fünf Rhythm’n’Blues-Sparten niemand ausgezeichnet wurde? Einziger Preisträger war der Hanauer Alwin Smoke. Und im Jahr zuvor tauchten nur zwei Namen in den Siegerlisten auf: Smoke und viermal Schmidts Band.
Waren knappe Kassen von anderen Bluesmusiker/innen die Ursache? Denn „Deutsche Rock & Pop Preise“ gibt es nun mal nicht für laue Nüsse, neben einer Anmeldegebühr von 30 € (20 € für DRMV-Mitglieder) werden weitere 100 € für die Teilnahme an der Preisverleihung oder Zusendung der Urkunde fällig. Pro Sparte und Urkunde, versteht sich. Wird man automatisch beste Rhythm’n’Blues-Band, wenn sich ansonsten niemand anmeldet? „Probieren geht über Studieren“, dachten sich der Kollege Funke und ich. So schickten wir The Sourland Blues Brothers ins Rennen um die Preise für „herausragende junge Nachwuchskünstler/innen“.
Aufnahme mit Rasenmäher und kreativer Wortschöpfung
Unser für diese Zielgruppe nahezu biblisch anmutendes Alter war für den späteren Dreifachtriumph erstaunlicherweise ebenso wenig ein Hindernis wie die bei mir nicht vorhandenen „musikalischen Fähigkeiten“. Dabei stehen diese laut „Exposé“ der Deutschen Popstiftung und des DRMV nämlich im „Mittelpunkt der Wertungen“. Da ich weder ein Instrument beherrsche noch einen Ton gerade singen kann, beschränkte sich mein Beitrag während der Aufnahmesession auf einen sonoren Brummton (in etwa G-Dur), der mit einem Rasenmäher erzeugt wurde. Und auf das Tragen von Gummistiefeln. Dazu spielte mein Namensvetter einen banalen Gitarrenakkord, sang 24-mal „how, how, how, how“ in das Mini-Mikrofon seines Headsets und die erste Strophe war im Notebook gespeichert.
Nach ähnlichem Strickmuster entstanden zwei weitere Strophen: „well, well, well, well“, „yes, yes, yes, yes“ und als Krönung der kreativen Wortschöpfung sogar eine mit drei verschiedenen Wörtern: „how, well, yes“. Nach nicht einmal 15 Minuten – Bandgründung inklusive – war das entstanden, womit wir uns bei der Deutschen Popstiftung bewarben. Okay, zwei instrumentale Stücke hatte „No Nickname“ Funke zudem solo aufgenommen, aber die spielten laut Anmeldeformular keinerlei Rolle. Die „Bundesjury“ wertet nur den jeweils ersten Song aller Einsendungen.
Um dem haarsträubenden Unfug zumindest optisch einen Hauch von Seriosität zu verleihen, gestalteten wir ein halbwegs ordentliches CD-Cover, verzichteten auf Fotos von der Aufnahmesession und rückten auch von der ursprünglichen Idee ab, den Song „Blues Of Idiots“ zu nennen. „Tribute To John Lee Hooker“ hieß schließlich der erste und somit zu bewertende Titel unserer selbstgebrannten Scheibe.
Was darauf folgte, ist kaum zu glauben. „Die Jury hat im Rahmen ihrer Anhörung von zahlreichen eingesandten Musikbewerbungen entschieden, Sourland Blues Brothers mit einem der ersten drei Plätze des 35. Deutschen Rock & Pop Preises 2017 für die Kategorien Bester Rhythm-&-Blues-Sänger, Beste Rhythm-&-Blues-Band und Bester Rhythm-&-Blues-Song auszuzeichnen“, hieß es in dem Schreiben der Stiftung, mit dem wir zur „feierlichen Überreichung der Auszeichnungen“ nach Siegen eingeladen wurden.
Wurde der Braten gerochen?
Okay, zwar hatten wir uns irgendwo einen Platz unter den „Top 3“ erhofft, aber dass uns gleich drei Ehrungen zugesprochen wurden, machte skeptisch. Hatten Stiftung und DRMV den Braten gerochen? Wollte man uns enttarnen und vor „Kollegen“ sowie Publikum bloßstellen? Geteert und gefedert als große Verlierer ausgerechnet aus einer Location namens Siegerlandhalle jagen?
Immerhin setzen sich die Jurorenteams laut Exposé aus „bekannten Stars und erfolgreichen Musikproduzenten“ zusammen, die für „eine qualitativ überzeugende und vorbildliche Wertung“ sorgen. „Musikalische Fähigkeiten wie Komposition, Text, Arrangement, Instrumentierung, Gesang, Zusammenspiel, Originalität und Kreativität stehen im Mittelpunkt der Wertungen“, heißt es dort weiter. Originalität war unserem Klamauk mit Blick auf den Rasenmäher zwar eventuell zu attestieren, dürfte aber in einem ganz anderen Kontext zu den Bewertungskriterien stehen.
Doch da Sauerländer keine halben Sachen machen (der Kollege Funke war inzwischen von Berlin nach Altena gezogen), warfen wir unsere Bedenken über Bord und kratzten die 300 € Teilnahmegebühr zusammen. Im Gegenzug bekamen wir prompt die versprochenen Eintrittskarten im Gesamtwert von sage und schreibe 3.000 € zugeschickt. 50 Stück pro Kategorie stehen jedem zu, der an der Preisverleihung teilnimmt.
Leider wurden wir die 20 € teuren Tickets weder bei eBay los („Sofort kaufen 1,00 € – 0 Gebote“ war dort zu den Angeboten anderer Musiker zu lesen), noch konnten wir sie vor der Halle verschenken. Die beiden jungen Burschen an der Abendkasse kontrollierten nämlich keine Eintrittskarten und würdigten unsere Tempotaschentücher, die wir spaßeshalber hinhielten, keines Blickes. Wahrscheinlich hätten wir auch Klopapierrollen nehmen können.
Drinnen fanden gerade die Finalrunden der sogenannten „Hauptkategorien“ statt. In denen gewinnen die jeweiligen drei Erstplatzierten neben einer Urkunde eine kostenlose einjährige Mitgliedschaft im Deutschen Rock & Popmusikerverband. Dies allerdings nicht nur auf Basis einer CD-Einsendung, die etwa 90 Acts mussten je einen Song vor der „Bundesjury“ vortragen. Teilnahmegebühr hier: 150 €. „Solidarbeitrag“ nennen das DRMV und Deutsche Popstiftung, was natürlich auch für die 100 € gilt, die von den über 200 Preisträgern der anderen Kategorien zu zahlen waren. Junge, Junge, dafür muss eine alte Frau lange stricken. Aber so ein Festival kostet nun mal. Auch wenn Halle und Technik kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, wie eine Moderation verkündete.
227 Nachwuchs-Preisträger/innen – 76-Jährige gewann in der Kategorie "Bester Rhythm’n’Blues-Song"
Dem Auftrittsmarathon (Showtime war von 13 Uhr bis gegen 22 Uhr) folgte ein Urkundenüberreichungsmarathon. Alle rauf auf die Bühne, im Halbkreis aufstellen und es ging los. Dutzende von Künstler/innen wurden aufgerufen, traten vor ins Rampenlicht, bekamen ihre Urkunden überreicht und reihten sich wieder im Halbkreis ein. Laut späterer Siegerliste gab es 205 Preisträger/innen in den Neben- und Sonderkategorien und 22 weitere in den Hauptkategorien. In dem ganzen Gewusel hieß es dann allen Ernstes irgendwann: „Beste Rhythm’n’Blues Band 2017: The Sourland Blues Brothers.“ Platz zwei und drei? Fehlanzeige. Wir waren the one and only, die Nr. 1 des Landes. Konkurrenzlos.
In der Sparte „Bester Rhythm’n’Blues-Song“ mussten wir der 76 Jahre jungen Nachwuchskünstlerin Marie-Luise Cassar (1. Platz) und Tausendsassa Alwin Smoke (er hatte diese Kategorie schon dreimal gewonnen) den Vortritt lassen. Wie deren Songs hießen? Keine Ahnung, das spielt wohl ebenso wenig eine Rolle wie die Namen der „Besten Rhythm’n’Blues-Sänger“. Der erste Platz ging an die Band Kingslane und der zweite an die Sourland Blues Brothers anstatt an Dirk „No Nickname“ Funke.
Natürlich hätten wir vom DRMV gern gewusst, wie unser Kokolores mit den angeblich „qualitativ überzeugenden und vorbildlichen Wertungen“ der Stars und Musikproduzenten in Einklang zu bringen ist. Hatten wir uns als einzige Band angemeldet und wurde unser Song deshalb nicht gehört? Damit wäre die Ehre der „Bundesjury“ ja sozusagen gerettet. Doch so weit kam es erst gar nicht, der DRMV blockte gleich bei der ersten Kontaktaufnahme ab. Warum viele der besten Sänger/innen, Songs und Alben nicht namentlich benannt wurden, wollte bluesnews wissen. Wurde in über 50 % der Neben- und Sonderkategorien kein zweiter und/oder dritter Platz vergeben, weil es keine weiteren Anmeldungen gab? Das könnte schlussendlich auch erklären, warum es in etwa einem Viertel der Sparten gar keine Preisträger gab.
Das Antwortschreiben des DRMV überraschte. Praktisch alle von bluesnews „angeführten Zahlen und Informationen“ seien „unrichtig“, hieß es darin. „Glaubst du wirklich, dass wir Leuten wie dir, der nicht in der Lage ist, korrekte und zuverlässige Recherchen durchzuführen, sondern frei erfundene Zahlen und Fakten (wie in 2016) veröffentlicht, irgendein Interview oder Antworten zukommen lassen?“ Merkwürdig, denn 2016 hat bluesnews gar nicht über die Preisverleihung berichtet und die Zahlen beruhen auf Angaben des DRMV. Laut Siegerliste 2017 wurden in nur 93 der 125 Sparten Auszeichnungen vorgenommen und in fast 50 gab es keinen zweiten und/oder dritten Platz.
DRMV-Vorstandssprecher Ole Seelenmeyer: bluesnews ist ein "Käseblatt mit stasieähnlichen Desinformationen und Machenschaften"
Doch es wurde noch merkwürdiger: „Du tendierst unübersehbar dazu, absichtlich deshalb Halb- und Unwahrheiten zu kolportieren, um dann mittels deines Käseblattes falsche Informationen zu verbreiten. (…) Wenn du Wert auf eine Berichterstattung unsererseits über deine stasieähnlichen Desinformationen und Machenschaften in unserem MusikerMagazin legst, informiere mich. (Bekannte Serie: „Haifische in der Musikbranche“)“, hieß es wortwörtlich, inkl. falscher Schreibweise. Nur zum besseren Verständnis: Dies schrieb nicht etwa der grantelnde Pressewart eines kleinen Dorfvereins, sondern Ole Seelenmeyer, Vorstandssprecher des Deutschen Rock & Popmusiker Verbandes, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Popstiftung und Vorstand des Kulturellen Jugendbildungswerks Lüneburg in Personalunion.
Verantwortlicher Redakteur des Musiker Magazins ist Seelenmeyer auch. Laut Werbung in der Ausgabe 04/2017 können Künstler/innen zum Beispiel „zwei Seiten Interview und Foto“ in der Zeitschrift für 1.500 € dazukaufen, wenn sie beim Jugendbildungswerk für 500 € einen Videoclip produzieren lassen. Dagegen sind die Teilnahmegebühren bei den „Deutschen Rock & Pop Preisen“ ja ein echtes Schnäppchen! In der Reihe „Haifische in der Musikbranche“ berichtet Seelenmeyer übrigens über „zahlreiche Kriminelle“, die den Musiker/innen „das Leben oft auch zur Hölle machen“. Ups, taucht bluesnews demnächst in dieser Gangsterrubrik auf? Diese Zeitschrift ist doch nur – um in der Ichthyologie zu bleiben – ein kleiner Fisch im Karpfenteich. Und laut Ole Seelenmeyer ein Käseblatt.
18.04.2018 • Dirk Föhrs (Artikel aus bluesnews 93)